Prima Panorama, perfekter Pfad

Die Aussicht aufs Matterhorn ist spektakulär. Fürs Winterwandern ist das nicht genug: In Zermatt schauen zehn Wegebauer für gut unterhaltene und sichere Wege. Und dafür, dass all die Freizeitmenschen des Wintersportortes gut aneinander vorbeikommen.

Überstrahlt: Mag sein, dass der Himmel in Zermatt öfter als anderswo lacht, weil das Matterhorn ihn zu kitzeln scheint.
Severin Nowacki

«NO PROBLEM» ist in weissen Lettern auf seine schwarze Kappe gestickt. Ohne Ausrufe- oder Fragezeichen. Zwei Wörter. Ein Versprechen und ein Programm. «Wir machen den Winterwanderweg von Sunnegga nach Zermatt», hatte Amédée Fux bei der Vorbereitung der Winterwanderung am Telefon gesagt – mit einer Entschlossenheit, die keine Widerrede duldete und damit allem Werweissen um die beste und schönste Zermatter Winterwanderung ein Ende gesetzt. Wie sich nun zeigt, vor Ort, übertrifft sein Vorschlag alle Erwartungen. Die Sunneggabahn katapultiert ihre Gäste mitten hinein in eine Arena von hohen, weissen Bergen, mit dem Berg aller Berge, dem Matterhorn, dessen Kraft und Eleganz man unweigerlich verfällt. Ganz Herr der Lage zeigt sich Amédée Fux, der als Leiter des technischen Dienstes zusammen mit seinem Team von neun Männern für den Unterhalt der Wege sorgt, auch im Abstieg. Die Hände in den Taschen geht er voraus, bändigt seinen Schritt, damit der Abstand zu Angelica Brunner, der Direktorin von Valrando, nicht allzu gross wird. Die ihrerseits folgt ihm zügig.

«No problems» soll es in absehbarer Zeit auf allen Winterwanderwegen im ganzen Wallis geben. Ganz offiziell. Dies dank dem «Gesetz über die Wege des Freizeitverkehrs», das regelt, wie die Gemeinden die unterschiedlichen Interessen von Wanderern, Bikern, Velofahrern, Schneeschuhläufern und Winterwanderern aufeinander abstimmen und gleichzeitig zu Umwelt, Natur und Landschaft Sorge tragen sollen. Keinen Steinbock und keine Gämse sollen die Freizeitmenschen in Zukunft mehr aufschrecken, keinen Hirsch und kein Reh. Selbstverständlich ist ein weiteres Anliegen der Schutz, etwa vor Lawinen, Steinschlag und anderen Naturgefahren. Ziel ist die Homologierung der Freizeitwege – das Wort stammt vom griechischen «homologeïn» und meint «den Bestimmungen entsprechend anerkennen».

In Kraft getreten ist das Gesetz inklusive der Ausführungsbestimmungen bereits am 1. Januar 2012. Fast so lang steht auch fest, wie die Gemeinden die Bestimmungen umsetzen sollen. Eine wichtige Rolle kommt dabei Valrando zu. Die kantonale Wanderweg-Organisation hat einen Leistungsauftrag vom Kanton. Sie berät und unterstützt die Gemeinden bei der Planung.

Und was für ein Weg das ist! Hier wird alles für den Komfort der Winterwanderer getan. Auf dem Weg hinunter zum Alpweiler Eggen sind Stufen in den Schnee geschaufelt. Da stimmen Trittlänge und Trittbreite perfekt überein. Und hat sich der Schnee zu stark gesetzt, droht er zu vereisen, so hilft urplötzlich ein Hanfseil oder schützen Holzschnitzel vor dem Ausrutschen. Die Holzschnitzel, sagt Amédée Fux mehr beiläufig, werden aus den Christbäumen der Gemeinden Randa, Täsch und Zermatt gewonnen, «und dann riecht es auch noch fein».

Auf Eggen sind die kleinen Stadel zu veritablen Ferienhäusern zusammen- und umgebaut worden, mit schicken Salons und Whirl- oder Swimmingpools im Innern. Davon jedoch sehen die Winterwanderer nichts. Die originale Hülle der Stadel wurde beibehalten. Da und dort scheint an der Fassade sogar ein Brett oder ein Balken locker zu sein. Zum Schein. Nichts soll die Gäste dazu verleiten, am Mythos der hehren Alpenwelt zu zweifeln. Auch die Restaurants entlang des Wegs setzen auf Überblickbarkeit. Der Massentourismus – Zermatt empfängt 30 000 Zermatter Gäste täglich – soll hier keine Schatten werfen. Wer einkehren will, muss «wait to be seated».

Könnte ein Wegweiser die Winterwanderer verwirren, so wird er diskret überdeckt. Auf Eggen steht der Wanderwegweiser Nummer 162 und zeigt Richtung Findeln. Amédée zeigt auf ein pinkes Schildchen und erklärt, dass auf dem Gemeindegebiet von Zermatt 230 Eisenstangen gibt, auf denen er und seine Mitarbeiter Wegweiser anbringen: die gelben Schilder fürdie Wanderer, die pinken für die Winterwanderer oder die roten für die Biker. Dass alle Daten dazu auf dem Computer im Werkhof hinterlegt sind, versteht sich. Und könnte im Winter ein Wanderwegschild die Gäste auf den falschen Weg leiten, so wird es abgedeckt. Dann wieder sind pinke Holzstangen entlang des Wegs in den Schnee gesteckt. Etwa da, wo der Winterwanderweg die Piste kreuzt: ein kritischer Moment, es könnte zu Zusammenstössen kommen. Deshalb steht hier auch eine gelbe Warntafel.

Amédée Fux und seine Männer wissen alle Probleme aus dem Weg zu räumen und sorgen dafür, dass die Wege immer instand gehalten sind. Einmal wöchentlich wandern sie sogar 40 Kilometer Winterwanderwege ab, um nach dem Rechten zu sehen und den Abfall zu sammeln, den die Gäste achtlos hinterlassen. Und tritt unverhofft eine Wettersituation ein, die einige Passagen unsicher machen könnte, so – es versteht sich fast von selbst – sind sie alsbald vor Ort und sperren mit Ketten oder Warnschildern den Weg.

Amédée und Angelica haben inzwischen die wohl eindrücklichste Passage auf dem Weg ins Tal passiert: Sie wandern einer Suone entlang, die in den senkrechten Felsen gehauen worden ist. Selbstverständlich immer mit Blick aufs Matterhorn. Nun aber geht es durch lichten Nadelwald. «Banngebiet Niederjagd», steht auf einer roten Tafel geschrieben. Die Jagd auf Fuchs, Hase, Reh, Birk- und Rebhühner ist hier verboten. Sehr zur Freude der Winterwanderer, die alsbald in Flüsterton verfallen: Sie sichten einen Rehbock und eine Geiss, die friedlich und ohne sich von den Zuschauern stören zu lassen, im Unterholz äsen. Was die Winterwanderer daran erinnert, dass auch sie schon lange nichts mehr gegessen haben. So treibt sie der Hunger nach zwei Stunden beschaulichen Wanderns nach Zermatt hinunter.