Experte: "Die katholische Kirche kennt keine Fehlerkultur"

Keystone-SDA

Bern

Das kirchliche Strafrecht hat laut Kirchenrechts- und Präventionsexperte Stefan Loppacher zu einer Vermischung von Moral und Recht geführt. Mit einer Frau zu schlafen, sei als schlimmer betrachtet worden, als der sexuelle Missbrauch von Buben durch Priester, sagte er.

Die Räson gewisser Bischöfe und Priester sei "natürlich totaler Schwachsinn", sagte Loppacher im am Freitag publizierten Interview mit Tamedia. Der Kirchenrechtler leitet das Fachgremium "Sexuelle Übergriffe im kirchlichen Umfeld" der Schweizer Bischofskonferenz. Zudem ist er Präventionsbeauftragter im Bistum Chur.

Sexuelle Handlungen mit Buben seien mit Homosexualität begründet und im kirchlichen Kontext als moralisch verwerflich eingeordnet worden. Als gravierender sei Sex zwischen Mann und Frau gewertet worden, sagte Loppacher. Das wäre ein "richtiger Zölibatsbruch". Loppacher habe entsprechende Akten gesichtet.

Die Frau werde aus biblischen und kultischen Reinheitsvorstellungen heraus als weniger rein gesehen. Bis heute präge dies die Sexualmoral und das Frauenbild der Kirche. "Abstruse Moralvorstellungen haben hier einen direkten Einfluss auf die Verharmlosung eines schweren Verbrechens", sagte Loppacher.

Selbstschutz statt Unrecht benennen

Das kirchliche Strafrecht sei über Jahrhunderte ein reines Disziplinarrecht gewesen. "Es ging darum, die Täter zu ihrem eigenen Heil vor sich selbst zu schützen und zur Umkehr zu bewegen", sagte er. Unrecht zu benennen und dieses wieder gut zu machen, sei nicht Teil davon. "Das tönt natürlich so naiv, dass einem fast schwindlig wird", sagte der Kirchenrechtler. Doch basiere das kirchliche Strafrechts auf moralischen und theologischen Überzeugungen.

Die Kirchenverantwortlichen seien es sich zudem gewohnt gewesen, sich über den Staat zu stellen. "Die katholische Kirche kennt keine Fehlerkultur", sagte Loppacher. Aus Sicht des Staates existiere das Kirchenrecht nicht.

Eine grosse Zahl kirchlicher Mitarbeiter habe aber nur darauf gewartet, dass man diese Themen anspreche. Für einen Kulturwandel braucht es nach Auffassung Loppechers die Masse. Dass sich Schweizer Kirchenvertreter durchgerungen haben, eine Aufklärung in Auftrag zu geben, zeuge von Einsicht.

Die Universität Zürich hatte am Dienstag in einer Studie 1002 Fälle von sexuellem Missbrauch in der katholischen Kirche in der Schweiz seit der Mitte des 20. Jahrhunderts dokumentiert.