Die Schweiz wählt heute den National- und den Ständerat neu
Bern
Die Schweiz wählt am Sonntag den Nationalrat und fast alle Ständeratsmitglieder neu. Über 5900 Personen kämpfen um einen Nationalratssitz und rund 180 um einen Ständeratssitz. Erste Resultate werden bereits am frühen Nachmittag erwartet, die letzten am späten Abend.
200 Sitze im Nationalrat sind zu vergeben, und die Wählenden haben eine Auswahl wie noch nie. Die Parteien schickten eine Rekordzahl an Listen und Kandidaten ins Rennen. Im Vergleich zu 2019 gibt es rund 27 Prozent mehr Kandidaturen. Der Frauenanteil unter den Kandidaturen liegt bei rekordhohen 40,8 Prozent.
Insgesamt 618 Listen gibt es in den Proporzkantonen. In mehreren Kantonen wurden weit mehr Unterlisten eingereicht als vor vier Jahren. Die GLP zum Beispiel hat ihre Listenzahl gegenüber 2019 praktisch verdoppelt, auf insgesamt 86 Listen.
Gewinne für SVP, Verluste für Grüne
Umfragen und Medienberichte deuten im Nationalrat auf einen Rutsch nach Rechts hin. In erster Linie der SVP werden Sitzgewinne vorausgesagt, auch weil das Thema Migration wieder im Vordergrund steht. Doch wird nicht erwartet, dass die SVP den historisch hohen Wähleranteil von 29,4 Prozent von 2015 erreichen wird.
Mit Verlusten rechnen müssen laut Prognosen die Grünen, die 2019 unter dem Eindruck der Klimastreiks grosse Gewinne gemacht hatten. Ihr Wähleranteil könnte, selbst wenn er unter 10 Prozent sinkt, aber doch der zweithöchste seit je bleiben. Auch für die Grünliberalen könnte der Höhenflug von 2019 am Sonntag enden.
FDP und Mitte Kopf an Kopf
Zweitstärkste Partei hinter der SVP dürfte im Nationalrat die SP bleiben. Um den Platz der drittstärksten Partei liefern sich FDP und Mitte – entstanden durch die Fusion von CVP und BDP – gemäss Umfragen ein Kopf-an-Kopf-Rennen.
Im Nationalrat treten 29 Mitglieder nicht zur Wiederwahl an, gleich viele wie schon 2019. Wahlumfragen lassen eine zumindest teilweise Korrektur des Ergebnisses von 2019 erwarten. Deshalb dürften sich zu den bereits zurückgetretenen und verabschiedeten Ratsmitgliedern weitere gesellen, die ab der kommenden Legislatur im Dezember nicht mehr Mitglied des Nationalrates sein werden.
Offengelegte Wahlbudgets
Fest steht derweil, dass eines der fünf Baselstädter Ratsmitglieder seinen Platz räumen muss. Denn der Kanton hat auf Grund seiner Einwohnerzahl neu noch vier Sitze in der grossen Kammer. Dafür hat Zürich neu 36 statt 35 Sitze zu vergeben.
Die eidgenössischen Wahlen sind auch eine Premiere: Erstmals überhaupt müssen Kampagnenbudgets von mehr als 50’000 Franken und Zuwendungen ab 15’000 mit Namen offengelegt werden.
Die FDP lässt sich das Engagement für ihre Kandidaten 12,4 Millionen Franken kosten. Die SVP budgetiert 11,1 Millionen, die SP 6,9 Millionen Franken. Die Mitte weist 6,5 Millionen aus, die Grünen 3,7 Millionen und die GLP beziffert die Kasse auf 2,9 Millionen Franken.
Und noch etwas ist neu: In den Kantonen Basel-Stadt, St. Gallen und Thurgau kann eine begrenzte Zahl von Menschen, darunter Auslandschweizerinnen und -schweizer, elektronisch wählen. 2019 stand E-Voting wegen Sicherheitsproblemen nicht zur Verfügung.
Neun freie Sitze im Ständerat
Im Ständerat sind 44 der insgesamt 46 Sitze zu vergeben; Obwalden und Appenzell Innerrhoden haben ihre Standesvertreter bereits gewählt. So viele Wechsel wie 2019 dürfte es dieses Jahr nicht geben, denn lediglich sieben Ständeräte und eine Ständerätin kandidieren nicht mehr.
Hinzu kommt der seit der Wahl von Marina Carobbio Guscetti (SP) in die Tessiner Kantonsregierung vakante Tessiner Sitz. Das Rennen um diesen Sitz ist offen, denn FDP und Mitte-Partei wollen ihre 2019 verlorenen Sitze zurückhaben. Für den zweiten Tessiner Sitz kandidiert erneut SVP-Parteipräsident Marco Chiesa.
Die SP ist im Ständerat ohnehin unter Druck. Sie hat im Lauf der Amtszeit schon zwei ihrer ursprünglich acht Mandate verloren. Im Kanton Freiburg profitierte die Mitte-Partei und im Kanton St. Gallen die SVP von vorzeitigen Rücktritten von SP-Mitgliedern.
Tiefe Beteiligung erwartet
Erwartet wird, dass sich am Wochenende vergleichsweise wenige Menschen an den nationalen Wahlen beteiligen. Keine klaren Schlüsse lassen allerdings die bisher brieflich eingegangenen Stimmen zu. Eine Tendenz liess sich nicht ablesen, wie eine Umfrage der Nachrichtenagentur Keystone-SDA fünf Tage vor den Wahlen ergab.